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26.08.2005
ERÖFFNUNGSABEND: SCHAUWERK GOES PUBLIC VON ROMAN SIGNER

AN DER SCHNITTSTELLE VON LEBEN UND KUNST, VON WAHRNEHMUNG UND ÄUSSERUNG ENTSTEHT IN DER KANTONSBIBLIOTHEK DAS «SCHAUWERK». AM FREITAGABEND GABEN KURZVIDEOS VON ROMAN SIGNER EINEN ERSTEN EINBLICK.
Von Guido Berlinger-Bolt, St.Galler Tagblatt, Montag, 29.08.05
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Ein bis auf den letzten Platz gefüllter Kulturraum im Bauch des Fünfeckpalastes; vorne eine Leinwand: Roman Signer füllt blaue Farbe in ein Ölfass und zieht dieses auf einem Veloanhänger nach draussen. Dann: Mitten in der Nacht öffnet der Aktionskünstler aus St. Gallen einen Ausguss am Fass, setzt sich aufs Fahrrad und zieht den Anhänger über einen grossen, geteerten Parkplatz. Beleuchtet von einem Scheinwerfer, begibt er sich scheinbar auf eine Irrfahrt durch die Leere. Grösste Anwesende ist die Abwesenheit; in ihr bewegt sich Roman Signer auf einer Umlaufbahn in einem unbekannten Gravitationsfeld.
Bei Tag betrachtet: Der amorphen, ja stumpfsinnigen Konstruktion eines Parkplatzes hauchte die blaue Linie der Spirale einer Nacht Leben ein. Jahrringe erzählen Geschichten. Unebenheiten, Stolpersteine, Risse im Asphalt hinterlassen ihre Spuren, werden bisweilen erst so sichtbar: in einem seismologischen Bericht über den Zustand der Fläche.
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KEIN MUSEUM - KEINE KUNSTHALLE
Unter einem Kellergewölbe in den Katakomben der Kantonsbibliothek schmunzelt eine grosse Familie von Kunstinteressierten. Eingeschlossen unter der Erde, mit nur einem Ausgang: Roman Signers Aktions-Kurzfilme. Diese indes werden bald zu einem farbigen, dynamischen Input, zur Inspiration. Lachen, Spannung, Überraschung, Irritation mancherorts, Monotonie, bevor eine nächste Geschichte ihrer Auflösung zustrebt. Was erst einer parallelen Welt, einer surrealen noch dazu, zuzuschreiben war, wird immer mehr zur Realität; blaue Fässer dehnen sich in weiteren Filmen, verformen sich unter der Hitze, Kanu und Stiefel drehen sich hoffnungslos im Kreis, Farbe und Wasser spritzen, Helikopter streuen Sand in die Augen.
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EINBLICK IN ETWAS VÖLLIG NEUES
«Das Schauwerk», erklärt René Schmalz noch vor Beginn der Aufführung, «soll eben nicht Museum oder Kunsthalle sein. In Trogen bringt es nichts, etwas zu machen, das es anderswo schon gibt.» Tatsächlich entsteht in der Kantonsbibliothek etwas völlig Neues: An den Schnittstellen der Kunst, zwischen Wort, Tanz, Gesang, Aktion, erhält, wer sich auf diesen spannenden, auch spannungsreichen Weg begibt, einen unmittelbaren Einblick in zeitgenössisches Kunstschaffen.
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WACHSTUM ALS IMPERATIV
Neben Videos dokumentieren Künstlerinnen und Künstler Schaffensprozesse auch mit sehr persönlichen Handschriften; das «Schauwerk» wird nicht zuletzt auch dadurch zum Unikat in der internationalen Kulturszene. Ein derartiges Projekt kann zu keinem Zeitpunkt je abgeschlossen sein, dessen ist sich René Schmalz durchaus bewusst. Das «Schauwerk» wird wachsen und es wird auch den Weg aus dem Fünfeckpalast in Trogen finden. Was letzten Freitag überwältigend viele Besucherinnen und Besucher in den Kulturraum lockte, kann durchaus einmal in einem Kino stattfinden oder unter freiem Himmel. Und: Die Archivierungsarbeit entpuppt sich als eine so grenzenlose wie wertvolle: Vor vier Jahren erhielt René Schmalz von Roman Signer die ersten «Päckli». In der Zwischenzeit ist eines deutlich geworden: In der Kulturlandschaft des Appenzellerlandes hat es neben Alpabfahrten und Streichmusik noch jede Menge freien Raum. Einige wichtige dieser Leerstellen besetzen zu können, haben René Schmalz und die Kantonsbibliothek, unter anderem mit Thomas Jud, eindrücklich bewiesen.
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Wörtlich: LUST DARAUF, SICH SELBER ZU ENTDECKEN
«Einzelne Künstlerinnen und Künstler habe ich gekannt, andere überhaupt nicht. Ich fragte sie einfach an, ob sie uns Beiträge zusenden wollen - bis jetzt hat noch nie jemand abgesagt. Sie sind alle von der Idee begeistert und viele überlassen uns Unikate.» «Die Päckli werden von uns genau so abgelegt, wie wir sie erhalten. Besucherinnen und Besucher sollen selber suchen - und entdecken.» «Wir möchten Leute ansprechen, die am Fragen und am Denken sind, die fühlen, die neugierig und interessiert sind. Denn das hält uns selber wach!» «Zeitgenössische Kunst ist oft so: Künstlerinnen und Künstler nehmen ganz individuelle Positionen ein, oft völlig losgelöst von einer Ur-Kultur.» (gbe)
René Schmalz ist Initiator des «Schauwerks», eines neuen Archivs über Kunstschaffende in der Kantonsbibliothek in Trogen.




www.schauwerk-blackbox.ch